Journalistische Qualitätskriterien
Von einem „qualitativ herausragenden“ Regionaljournalismus wird erwartet, dass dieser den öffentlichen Entscheidungshaushalt einer bestimmten Region repräsentiert, den die Einzelnen kennen müssen, um sich entscheiden zu können. Der Journalismus ermöglicht dabei den Blick auf relevante bzw. als einflussreich geltende gesellschaftliche Akteure und deren Entscheidungsziele. Er dokumentiert Positionen wie Diskurse und reflektiert Entscheidungen. Der Regionaljournalismus lässt beim Publikum erst individuelle Entscheidungen als Optionen wahrnehmen, wenn sich dieses mit Hilfe des Journalismus über verschiedene in der Öffentlichkeit diskutierte Entscheidungsalternativen ein Bild machen kann. Der Regionaljournalismus leistet dies durch ein Orientierungsangebot, das sich auf das allgemeine Zusammenleben in einer Region bezieht. Das Angebot gestaltete der Journalismus - etwa im Unterschied zur wissenschaftlichen Schrift, zum Plädoyer des Anwalts, zur Predigt etc. in einer ganz eigenen aber allgemein erwarteten Darstellungsform (Bericht, Kommentar, Glosse, Interview, Reportage), die wiederum eigenen Gesetzesmässigkeiten folgt.
Diese eingeforderte Leistung bezieht sich auf den Regionaljournalismus insgesamt. Die Qualität einzelner journalistischer Angebote wie z.B. Zeitungsartikel, Artikelserien oder Radio-/Fernsehbeiträge ist aber vor dem Hintergrund dieser Leistung für die Menschen in einer Region zu bestimmen. Jeder einzelne journalistische Beitrag ist in Bezug auf seinen Beitrag an diese gesellschaftsrelevante Leistung des Regionaljournalismus zu begutachten. Dies wiederum setzt voraus, dass ein solcher Beitrag bestimmten Qualitätsstandards genügt, um als „qualitativ herausragend“ gelten zu können.
Die Jury des Medienpreises AG/SO berücksichtigt, soweit dies ein Artikel oder Beitrag aufgrund von Form und Umfang zulässt, folgende Qualitätskriterien:
Relevanz und Aktualität:
Ko-Orientierung (Gesellschaft beobachtet sich gegenseitig) kann über Journalismus nur ermöglicht werden, wenn Themen mit gesellschaftlicher Relevanz bearbeitet werden. Diese müssen den Entscheidungshaushalt vieler betreffen und einer Jetzt-Zeit (Neuigkeit oder Gegenwartsbezug) verbundenen Beobachtung folgen. Journalistische Relevanz ist nie nur z.B. eine politische, religiöse oder wirtschaftliche, sondern betrifft immer die Schnittstelle zwischen diesen verschiedenen Relevanzstrukturen. So bringen z.B. Themen wie Sonntagsverkauf, Minarett-Bau oder Manager-Löhne immer zugleich mehrere Relevanzstrukturen in Anschlag.
Richtigkeit und Vollständigkeit:
Journalismus bezieht sich – etwa im Unterschied zu Literatur oder Werbung – immer auf sozial verbindliche Wirklichkeitsmodelle. Faktizität und die – im Sinne der Relevanz - vollständige Wiedergabe von Fakten sind deshalb unverzichtbar.
Perspektivenvielfalt und Unabhängigkeit:
Gerade in einer pluralistischen Gesellschaft sollen möglichst viele und unterschiedliche Deutungen vermittelt werden, um den Dialog der Verständigung bzw. die Ko-Orientierung zu ermöglichen. Es genügt deshalb nicht, ein Thema nur exklusiv aus einer Perspektive zu bearbeiten, sondern eben gerade unter Einbezug verschiedener – sich möglicherweise widersprechender oder irritierender – Perspektiven: Die Inbetriebnahme einer Mobilfunkantenne kann beispielsweise aus politischer, ökonomischer, ethischer, wissenschaftlicher oder rechtlicher Perspektive journalistisch bearbeitet werden: Verursacher und Betroffene verwenden meist Deutungen und Argumentationen unterschiedlicher Herkunft. Im Sinne der Unabhängigkeit sind alle Perspektiven gleichwertig; keine sollte die anderen überdecken. Unabhängigkeit setzt zudem die Trennung von bezahlten Inhalten (Werbung) und redaktioneller Berichterstattung voraus.
Transparenz und Fairness:
Journalismus ist auf Glaubwürdigkeit angewiesen, um seine zentrale Funktion der gesellschaftlichen Ko-Orientierung ausüben zu können. Dies setzt die Offenlegung der Herkunft von Informationen und Bewertungen voraus (Transparenz, Quellenangabe etc.). Zudem kann erwartet werden, dass die Quellen fair („jeder mit den besten Argumenten“) behandelt werden und dass reflexiv auf die Rahmenbedingungen der journalistischen Produktion Bezug genommen wird.
Narrativität und Verständlichkeit:
Journalismus setzt voraus, dass er in der Lebenswelt der Rezipienten verstanden wird. Die Verwendung narrativer Muster ermöglicht dies. Journalistische Geschichten weisen eine Zeitstruktur auf, weisen die beschriebenen Handlungen (archetypischen) Rollenträgern zu und erlangen über die aktuelle Handlung hinaus Bedeutung, wobei das bearbeitete Thema einer Dynamik (z.B. Konflikt- bzw. Lösungsstruktur; Macht-Ohnmacht etc.) zugeführt wird. Dies beinhaltet auch sachgerechte Sprache, anschaulicher und prägnanter Stil, klarer Aufbau und das Ausschöpfen der medientypischen Möglichkeiten (medienadäquate Darstellungsform) sowie die Dramaturgie eines Beitrags, einer Sendung oder eines Heftes; Zusammenspiel von Text und Bild, von Sprecher, O-Ton und Atmo.
Originalität und Attraktivität:
Die Anwendbarkeit bzw. der Nutzwert im Alltag des regionalen Publikums – als Orientierung, Rat und Entscheidungshilfe – gelingt eher, wenn ein journalistischer Beitrag den Kriterien der Attraktivität (Herstellung von Aufmerksamkeit; zielgruppengerechte Ansprache des Publikums; passende Genrewahl; packende Titel) und Originalität (Eigenrecherche, Exklusivität, eigene Themenfindung, intellektueller Anspruch) entspricht.
Interaktivität und Partizipation:
Ko-Orientierung schliesst nicht nur die Verlautbarung von Expertisen oder die Deutung der Machthabenden ein. Sie gelingt eher, wenn auch durch Interaktivität bzw. Mitwirkungsmöglichkeiten des Publikums der Stimme von Betroffenen Auftrieb gegeben wird.